«Weltstarflausen»
Der Starstatus in der Schweiz hat laut von Rohr Gotthard den nötigen Hunger genommen: «Statt neue Songs zu proben, kultivierten die Jungs lieber ihre Weltstarflausen.» Man hatte den Fokus verloren: «Das Schlimmste war, dass sie weder einen drivenden Drumbeat von einem Hetz- oder Bremsbeat noch ein gefühlvolles Gitarrensolo von Tonleitergeraspel unterscheiden konnten.» Darum wurde aus der Sicht von von Rohr auch nichts aus dem Traum vom internationalen Erfolg: «Diese knapp 79 Prozent Herzblut und Professionalität reichen einfach nicht aus, um weltweit zu explodieren.» Die Band sei einfach zu satt gewesen.
«Wer ist eigentlich Steve Lee?»
Noch immer war von Rohr der Überzeugung, dass Lees Stimme das Kapital von Gotthard sei. Doch auch das war für von Rohr nicht genug: «Eine Hammerstimme reicht heute nicht mehr aus, um ganz gross rauszukommen. Im internationalen Rock'n'Roll geht es um Haltung, Ehrlichkeit und Persönlichkeit. Doch genau da fehlt es», schreibt von Rohr. «Trotz der unüberhörbaren stimmlichen Grösse tönte sein Gesang oft etwas steril, künstlich und emotionsarm: Eine Achziger-Imitation von Whitesnake und Journey ohne eigenständigen Ausdruck», so von Rohr damals. «Eine gute Kopie, aber kein Original.» Immer wieder habe sich der Produzent gefragt, wer eigentlich dieser Steve Lee sei. Trotzdem weiss von Rohr: «Ohne sein Powerorgan hätte diese Band nie stattgefunden.»
«Fehlendes Selbstbewusstsein»
Im Kapitel «Im Fadenkreuz des Salamikartells» schreibt von Rohr Sätze, die ihm nach der Tragödie wohl leid tun – und der damaligen, unglücklichen Situation geschuldet sind: «Leider kam Steve meist aalglatt daher. Er vertrat keine eigene Meinung und wollte es allen immer gummibaummässig Recht machen – ja nicht anecken, keine Konfrontation und alle Hintertüren offen halten. Steve misstraute allen und allem», so von Rohr. «Ihm fehlte es an Selbstbewusstsein. Er war zu labil, um in der Band eine wirklich verbindliche Führungsposition zu übernehmen. Er ist unsicher wie eine Fahne im Wind, machte vieles hintenherum im Geheimen und versteckte sich hinter seiner Stimme. Eine wirklich traurige Sache.»
«Verdrängung pur»
Damit nicht genug: «Steve ist der Prototyp eines Menschen, der noch nie den Mut hatte, in seine Abgründe zu schauen, zu ihnen zu stehen und eine Reise ins Ungewisse anzutreten. Vor Gotthard nicht und auch jetzt nicht. Verdrängung pur. Er führte Zeit seines Lebens ein wohlbehütetes, konservatives Leben ohne jegliche Brüche.» Das traurige Fazit von Rohrs über Gotthard: «Diese Truppe hat einfach keine Message! Es fehlt ihnen an Witz und Spritz – und sogar der Charme wirkt berechnet, steif und aufgesetzt.»
Von Rohr und Gotthard gingen nicht im Guten auseinander, 2003 rechnete der Solothurner mit der Band in «Bananenflanke» ab. Seitdem ist viel Wasser den Rhein und die Aare heruntergeflossen. Die damalige Wut des Erfolgs-Produzenten blieb dank dem Buch aber konserviert.